Prost mit 0,0 Promille
Viele trinken im «Dry January» keinen Alkohol. Für sie gibt es spannende Alternativen – auch aus der Schweiz. Nau.ch empfiehlt die Besten.
«Es fühlt sich an, als ob wir bereits mehrere richtige Cocktails mit Alkohol intus hätten», sagt Stefan nach 30 Minuten Degustieren. Lautes Gelächter.
Draussen auf dem kühlen Balkon stehen rund drei Dutzend alkholfreie Spirituosen und weiteren Zutaten für Longdrinks, alle haben beherzt zugegriffen und fühlen sich beschwingt. Ein Placebo-Effekt oder nur ein weiterer Beweis, dass man auch ohne Hochprozentiges viel Spass haben kann?
Sieben Freundinnen und Bekannte probieren an diesem Januarabend Schnapsimitate mit gar keinen oder 0,5 Promille – pur, als Cocktails sowie als vorgemischte Drinks. Sie trinken viel, ohne sich zu betrinken. Und alle sind sich einig: Toll, dass es diese Alternativen gibt.
Schnaps mit Schweinsfussaroma
Über ein Dutzend ganz unterschiedliche Produkte vermögen die kritische Runde zu überzeugen – darunter die Drinks des Schweizer Startups Rebels 0,0%. Nur Hobbykoch Giovanni serviert einen vernichtenden Kommentar nach dem anderen: «Möbelpolitur», «verbranntes Horn» oder «Schweinsfüsse», steht auf seinen Degustationsnotizen.
Selber schuld: Er wollte die Spirituosen unbedingt pur probieren – obwohl selbst die besten Produzenten davon abraten.
Viele Getränke sind gemixt – beispielsweise mit Orangensaft, Ginger Beer oder Tonic – sehr empfehlenswert, allen voran jene, die auf Basis von Wein, mit Kräutern und Gewürzen im Stil eines Wermuts oder Campari aromatisiert werden.
Überzeugend und kostengünstig sind der schweizerische Jsotta Bitter Senza Rosso, der französische Monin Bitter Aperitif oder auch der italienische Martini alkoholfrei Vibrante. Sie alle kosten zwischen 14 und 16 Franken und sind zum Teil beim Grossverteiler erhältlich.
Elegant, komplex und doch gefällig der Si-Off Waldrauschen (rot) und der Si-Off Seebrise (weiss) der traditionellen Entlebucher Distillerie Studer (um die 30 Franken). Diese wurde 2023 als «Schweizer Brennerei des Jahres» ausgezeichnet und arbeitet im Gegensatz zu vielen grossen Anbietern ausschliesslich mit natürlichen Zutaten und ohne Konservierungsstoffe.
Boomende Nachfrage in der Schweiz
Die Produkte kommen am Markt an. Laut Mediensprecher Caspar Frey verdoppelte sich der Umsatz alkoholfreier Spirituosen bei Coop seit 2021. Jonas Heinrich von der Schweizer Getränkeproduzentin und -händlerin Diwisa spricht von einem «Wachstum im zweistelligen Bereich».
Und Christof Tremp von Rebels 0,0%, dem ersten Schweizer Spirituosen-Startup, das ausschliesslich alkoholfreie Drinks herstellt, spricht gar von einer «Aufwärtsspirale» und einer «rasanten Entwicklung dank steigenden Gesundheitsbewusstsein und bewussteren Lebensstil».
Das Spitzenprodukt von Rebels, «Sweet Amaretti» (29.90 Franken), hat mehrere internationale Preise gewonnen; es schmeckt pur wie als Amaretto sour mit Zitronen- und Orangensaft.
Auch der Dolce Spritz mit intensiven Aromen von Bitterorangen und Rhabarber (24.90 Franken) gefiel im Degustationsvergleich kombiniert mit Tonic oder in einer «low alcohol»-Variante mit Prosecco.
Der eine Gin zuviel...
Tremp, einst Marketingchef von Lindt&Sprüngli, hatte die Idee zur Firmengründung von Rebels auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela.
Er hatte realisiert, dass es «immer dieser letzte Gin & Tonic ist, welchen man am nächsten Morgen bereut, und dass man oft nur aufgrund mangelnder Alternativen Alkohol trinkt». 2020 gründete er zusammen mit Barbesitzer Janick Planzer die Firma Rebels und stiess zunächst auf Ablehnung.
Inzwischen kann das Startup seinen Umsatz nach Angaben von Tremp jährlich knapp verdoppeln. Seine Getränkeflaschen sind inzwischen in vielen Bars präsent.
Letztes Jahr expandierte Rebels ins benachbarte Ausland. Der globale Markt wächst rasch, das zeigen aktuelle Marktforschungsstudien.
Junge Generation trinkt weniger oder gar kein Alkohol
Laut einem Bericht des Forschungsunternehmens IWSR ist der globale Umsatz mit alkoholfreiem Wein, Bier und Spirituosen von 2018 bis 2022 von 8 auf 11 Miliarden Dollar angestiegen. Laut einer Statistik von Berenberg Research trinkt die Generation Z 20 Prozent weniger Alkohol als frühere Generationen.
Und laut dem Givaudan «mindful drinking report» wollen 60 Prozent der Alkoholtrinkenden in Europa ihren Konsum reduzieren; 58 Prozent davon suchen nach besser schmeckenden Alternativen.
Das ist bei Hochprozentigem ab 40 Prozent wie Gin oder Rum nicht ganz einfach, da deren Aromatik stark vom Alkohol getragen wird. «Es gibt gute alternative Gins, aber man sollte sie nie pur trinken und direkt mit dem Original vergleichen», sagt Giancarlo Pizzolotto, Gründer von undrunk.ch, des einzigen Schweizer Online-Shops, der ausschliesslich alkoholfreie Getränke verkauft und damit einen guten Überblick an Spezialgetränken hat.
Gäste werden zu Bartendern
Jonathan Schönberger, CEO der Distillerie Studer, sagt: «Wir stellen erfreut fest, dass sich unsere Kunden «Bartender-Fähigkeiten» verstärkt aneignen, um alkoholfreie Drinks selber zuhause zu mixen.»
Zudem würden immer mehr Bars klassische Drinks mit wenig Alkohol anbieten, indem sie etwa bei einem Negroni eine von drei Zutaten alkoholfrei dazumischen: «So reduziert sich der Alkohol bei einem sehr ähnlichen Geschmackserlebnis.»
Bei der Degustation von einem halben Dutzend Gins im Freundeskreis vermag jener von Rebels vermischt mit Tonic, Orangensaft oder alkoholfreiem Wermut am ehesten zu überzeugen. Der internationale Klassiker Gordon’s Gin und weitere Fabrikate stossen auch gemixt auf beschränkte Akzeptanz. Beim Mischen muss man darauf achten, eher mehr Gin-Ersatz beizufügen.
Und genau hier hat die Diwisa aus Willisau eine Marktlücke erkannt. Sie bietet ein Mischgetränk namens «Ginoni» an, das aus alkoholfreiem Gin und Tonic Water besteht – in den drei Geschmacksrichtungen classic und berry. Das 2-Deziliter-Fläschchen im Tonic-Look kostet 2.60 Franken und kommt bei der Degustation für nau.ch gut an.
Schweizer Produkte unter Konkurrenzdruck
Doch am Markt muss sich das neue Produkt noch besser etablieren: «Es ist für einheimische Hersteller nicht einfach, gross zu werden», sagt Jonas Heinrich, der als Verantwortlicher des alkoholfreien Segments ab Anfang Jahr neu in der Geschäftsleitung der Diwisa sitzt.
Naturgemäss sind bekannte internationale Brands, die im Grossverteiler angeboten werden und grosse Werbekampagnen fahren, im Vorteil.
Am launigen Abend gibt es auch einige Flaschen, die durchfallen. Enttäuschend die drei Produkte von Seedlip, eine Marke, die 2016 als Pionierin die ersten alkoholfreien Spirits auf den Markt brachte und zum grossen Getränkekonzern Diageo zählt: Sie wirken fad, obwohl sie mit 39 Franken am teuersten sind.
Es darf nie brennen
Ähnlich die aromatisierten Wässerchen der belgischen Marke «Fluère» (29.60 Franken). Auch die deutsche Marke Siegfried, die nach eigenen Angaben bereits heute viermal mehr Umsatz mit alkoholfreien statt alkoholhaltigen Getränken macht, kam vergleichsweise schlecht an (19.90 Franken).
Schlechtere Qualitäten enthalten oft scharfe Gewürze wie Chili und sorgen für ein Nachbrennen. «Das halten wir für falsch», sagt Spirituosenspezialist Schönberger: «Eine hochwertige Spirituose soll nie brennen, auch nicht bei richtigem Schnaps!»
Nach mehreren Stunden Mixen und einem Teller Spaghetti geht der Degustationsabend zu Ende. Da angebrochene alkoholfreie Spirituosen auch gekühlt nur vier bis sechs Wochen haltbar sind, dürfen alle zwei Flaschen nachhause nehmen.
Giovanni bleibt skeptisch, er spricht von einem «cadeau empoisonné», einem vergifteten Geschenk. Dafür greift seine Partnerin zu.
Und wieder haben die Schweizer Destillate die Nase vorn: Die Produkte von Rebel und Studer sowie das fertige Mixgetränk «Ginoni» gehen am schnellsten weg. Prost!